Henny, * 1911, Germany, Bremen, Arbeiterfamilie

Henny hatte einen jüngeren Bruder, Karl Heinrich (* 1916).

Wohnraum:
Die ersten Jahre ihres Lebens lebte Henny mit ihrer Familie in einer Wohnung in der Mauerstr. in Bremen. Als Henny ca. 6 Jahre alt war, nach der Geburt ihres Bruders, zog die Familie in eine Wohnung in einem 3-Familienhaus (Warturmer Herrstr. 5). Es gab zu der Zeit viele leer stehende Wohungen und die Familie zog dem Arbeitsplatz des Vaters hinterher. Sie zogen in ein Mehrfamilienhaus und konnten unter den vorhandenen 3 Wohnungen frei wählen. Sie nahmen die Wohnung im 1. Stock. Sie hatte eine Küche, ein Schlafzimmer für die Eltern, eine Toilette, eine kleine und eine "Gute Stube". In der Küche spielte sich das alltägliche Leben ab, die Kinder schliefen in der kleinen Stube, die aber auch als Art "Wohnzimmer" zum Einsatz kam. Die "Gute Stube" wurde nur zu Weihnachten, Ostern, Pfingsten oder zu besondern Besuchen genutzt. Es gab kein Badezimmer. Gebadet wurde in der Küche. Die Toilette hatte eine richtige Wasserspülung. Da allerdings die Leitung in einer Außenwand war, platzte sie jedes Jahr in der Frostzeit. Im Ergeschoss des Hauses war eine Werkstatt. Im Hof konnte der kleine Bruder gut spielen. In der Nachbarschaft fand er viele Freunde.

Schule:

Henny besuchte 8 Jahre lang die Volksschule. Das erste Schuljahr hieß "achte Klasse". Nach der "ersten Klasse" verließ sie dann die Schule mit 15 Jahren und ging "in Stellung". Henny besuchte die Grundschule in der Oderstraße, Bremen. Die Schule hatte zwei Eingänge, einen für die Mädchen, der andere für die Jungen. Die Kinder waren die ganze Zeit nach Geschlechtern getrennt, in den Klassen wie in den Pausen. Im Alter von 6 Jahren war lebte sie ca. 2 Monate bei der Oma auf dem Land (Rehburg). Sie ging dort auch über die Zeit zur Schule und die Lehrerin war besonders streng und sparte nicht mit Stockschlägen. Hennys Oma bestach die Lehrerin mit Eiern, damit sie dies künftig unterlasse. Hennys Mutter vergaß sie in der Bremer Schule zu entschuldigen, so dass im Zeugnis später 76 Fehltage standen. Die Schüler lernten das Schreiben mit Schiefertafel, Schwamm und Griffel. Erst später gab es Federhalter und Tintenfass. Es war nicht leicht, keine Flecken zu machen, aber man musste sehr aufpassen, denn sonst gab es Ärger. Während des 1. Weltkrieges wurden dort zeitweise Soldaten einquartiert. Für diese Zeit ging sie zur Schule am Geschworenenweg. Nachdem die Soldaten die Schule verlassen hatten, musste die Schule erst frisch gemacht werden. Die Soldaten hatten ihre Spuren und Läuse hinterlassen. In den Bremer Schulen gab es keinen Rohrstock mehr. Dort erlebt Henny nur eine Lehrerin, die noch schlug. Aber davor brauchte sie sich nur wenig zu fürchten, denn Henny war recht brav und still. Am Ende einer Pause mussten sich die Kinder zunächst in Zweierreihen aufstellen, um dann in die Schule zurück zu kehren. Nahm die Lehrerin eine Schülerin in der Stunde dran, musste das Kind aufstehen.
In der Schule lernte sie Gedichte von Schiller, Goethe und Chamisso.

Kleidung:
Die Mutter nähte Hennys Kleider selbst. Sie orientierte sich an der Vorbach Modezeitung. Sie zeigte Henny die Kleider und sie konnte sich etwas aussuchen, dass die Mutter dann nachnähte. Man zog sie über den Kopf und sie hatten meist dunkle Farben, z.B. in blau. Eines ihrer Kleider war aus blauem Stoff mit kleinen Blümchen. War Henny aus ihren Kleidern heraus gewachsen, gab sie diese an ihre Tante Mariechen (Mariechen war jünger! als Henny). Henny trug Haarschleifen, die immer heraus rutschten. Hennys Leibchen wurden vorne oder hinten geknöpft. An den Strümpfen und am Leibchen waren jeweils seitlich Knöpfe. Daran wurden die Strumpfbänder geknöpft. Unterwäsche war immer weiß. Die Unterhosen hatten einen Gummisaum an der Taille. Im Sommer waren die langen Strümpfe aus Baumwolle und im Winter aus Schafswolle. Die Strümpfe waren in der Regel braun (schwarz war nicht üblich). Zuerst zog Henny Ihr Hemd an, dann folgte das Leibchen, dann die Unterhose, danach die langen Strümpfe und schließlich das Kleid. Im Winter trug Henny Mäntel aus dickem Wollstoff, die sie von Kusine Sophie übernahm. Einmal übernahm auch ihr Bruder einen ihrer Mäntel, da er nichts anderes anzuziehen hatte. Es war ein grüner Lodenmantel mit Stickereien. Damit der Mantel nicht länger mädchenhaft aussah, wurden die Stickereien teilweise entfernt oder mit Knöpfen übernäht.

Weihnachten:
In der "Guten Stube" wurde der Weihnachtsbaum mit Engelshaar und Lametta geschmückt. Am späten Nachmittag war Bescherung. Vor Weihnachten verschwanden Henny's Puppen gewöhnlich, um sie dann bei der Bescherung unter dem Baum in neuer Kleidung zu begrüßen. Einmal auch mit einer neuen Perrücke. Eigentlich hatte Henny sich eine neue Puppe mit langen blonden Haaren gewünscht, aber dieser Wunsch blieb unerfüllt. Weitere Weihnachtsgeschenke waren beispielsweise Strümpfe oder eine Schürze. Aber jedesmal gab es mindestens 2 Bücher. Zu Hennys Ärger schnappte diese aber zunächst der Vater und las sie als erster durch. Nach der Bescherung wurde gegessen. Die warmen Speisen waren ganz unterschiedlich. Ein traditionelles Essen gab es nicht.

Spielzeug und Spiele:
Henny hatte eine Puppenwiege. Sie hatte eine Charakterpuppe (auch aus Zelluloid?) und ein Baby aus Zelluloid. Sie hat sich sehr geärgert, als ihr Bruder der Puppe ein Loch in den Kopf gebrannt hat, weil er sie an den Ofen gehalten hat. Henny hatte keinen Puppenwagen. Aber es gab einen roten Ziehwagen. Darin hat Henny ihren Bruder und die Puppe ausgefahren. Henny spielte mit Kreisel und Peitsche und mit Murmeln, die sie in einem Beutel um den Hals aufbewahrte. Auf der Straße spielte sie Hinkepinke. Ein weiteres Straßenspiel hieß "Kaiser, König, Prinz, Major". Henny wusste nicht mehr, ob der Name so ganz genau richtig ist. Auch bei den Spielregeln war sie unsicher. Vermutlich wurde mit einem Ball gespielt und man musste in die Hände klatschen. Außerdem musste jeder an einem "Baum" stehen. Wer die genauen Spielregeln kennt, wird um Nachricht gebeten. Ein anderes Spiel hieß "Ball an Dach", wobei die Kinder abwechselnd einen Ball an die Hauswand warfen und der Ball nicht zu Boden fallen durfte. Generell wurden viele Ballspiele gespielt, oft mit einem Gummiball.
In der Nachbarschaft gab es auf einem brach liegenden Grundstück einen großen Sandhaufen, den die Kinder der Nachbarschaft begeistert zum Spielen nutzten. Dort holte Henny auch immer Sand für das Katzenklo, denn Katzenstreu wurde damals noch nicht verkauft. Auf einem weiteren Grundstück stand ein altes Bauernhaus, um das sich die Eigentümer nicht kümmerten. Für die Jungen war es ein wahrer Abenteuerplatz und sie brachen so lange daran herum, bis nicht mehr allzu viel davon übrig war. Als dann eines Tages die Besitzer auftauchten, waren sie über die Überreste doch "recht überrascht".

Kriegszeiten:
Im 2. Weltkrieg bekam man Lebensmittelkarten für einen Monat. Hennys Schwiegervater hatte dies falsch verstanden und freute sich über so viel Essen. Ein Woche später erwartete er eine neue Karte. Da war guter Rat teuer. Über den ärgsten Hunger half der Familie die Parzelle, in der sie zahlreiche Früchte, z.B. Kartoffeln, anbauten.
Auch im 1. Weltkrieg gab es Lebensmittelmarken.
Die Familie lebte in der Nähe eines Güterbahnhofs. Von dort wurden Soldaten an die Front geschickt. Hennys Mutter stand weinend am Fenster wenn sie in Richtung Bahnhof vorbei marschierten. Dass ihr ältester Bruder gefallen ist hat sie nie verwunden.

Lebensmittel:
Der Vater legte wert darauf, Fleisch auf den Teller zu bekommen. In damaliger Zeit bedeute dies, ein bißchen in der Brühe oder eine Wurst im ganzen Eintopf. Henny mochte Fleisch nicht so gerne. Besonders dann nicht mehr, nachdem sie damals von dem "Kriminalfall Haarmann" (Mehr Informationen dazu gibt es bei Wikipedia.de) hörte.
Der Vater wünschte jeden Tag eine andere Mahlzeit. Die Mutter war stets am überlegen, was sie bloß auf den Teller bringen solle. Dazu befragte sie auch Henny. Henny aß gerne Eintopf und konnte Weißkohl nicht ausstehen.
Süßigkeiten waren etwas Besonderes. Wenn es denn doch mal etwas gab, war dies zum Beispiel Goldina- oder Hanseaten-Schokolade. Von Goldina gab es die "Halbe Tafel". Auch gab es Nappo (eine mit Schokolade umhüllte Süßigkeit in Rautenform) oder raspelte mit den Zahnen an einer harten Blockschokolade. Andere Süßigkeiten waren Babbeler (Pfefferminz-Lutschstangen), Salmiak-Pastillen, Sahnebonbons und Blombenzieher (klebrige Karamellbonbons, die zwischen den Zähnen kleben bleiben).

Weiteres:
-In Rehburg auf dem Lande wurde mit Torf und Holz geheizt. Kohlen hatte man dort nicht.
-Als Henny "in Stellung" ging, war die Arbeitslosigkeit recht hoch. Wenn sich Mädchen für eine Stellung bewerben wollten, standen da manchmal 20 Mädchen auf einmal. Henny hatte mehrere Stellen. Ihre Großeltern bewirtschafteten einen Bauernhof und da es ihr dort immer so gut gefallen hatte, wollte auch sie in die Landwirtschaft. Sie überredete eine Freundin mitzukommen. Der gefiel es dort aber gar nicht. Danach ging Henny zu einem Arzthaushalt. Dort arbeitete auch ihre Mutter, die zunächst als Plätterin gearbeitet hatte. Sie putzten die vier Bestrahlungskabinen (unter anderem gab es eine Höhensonne für Kinder) und das Treppenhaus. Die Wäsche haben sie mit der Hand gewaschen. Es war eine schwere Arbeit, die vielen Stücke auf dem Waschbrett zu rubbeln. Als der Arzt dies mitbekam, kaufte er eine Waschmaschine.
-Wenn ein kleineres Kind ungezogen war, wurde gedroht: "Du kommst in den Kindergarten". Das wurde als Strafe betrachtet.
-Henny bekam kein Taschengeld. Süßigkeiten wurden mal mitgebracht, aber selbst kaufen konnte Henny sie nicht.
-Henny hatte Angst vor dem Zahnarzt. Sie hatte Blomben in jedem Zahn.

Henny erzählte uns ihre Erinnerungen in mehreren Gesprächen über die Jahre 2004/2005/2006. Dafür sind wir sehr dankbar.


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